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Oskar Lafontaine über soziale Gerechtigkeit, offene Grenzen und die Erneuerung der Partei

Unter der etwas einseitigen und arg verkürzenden Überschrift „Bleiberecht für alle ist wirklichkeitsfremd“ veröffenlichte die MAZ heute ein Interview mit dem ehemaligen LINKE-Vorsitzenden:

Herr Lafontaine, muss die Linke sich erneuern?

Wir brauchen eine neue Sammlungsbewegung der politischen Linken. In Frankreich kann man beobachten, wie neue politische Bewegungen wie „La France insoumise“ und „La République en Marche“ versuchen, das erstarrte Parteiensystem zu überwinden. Wenn die politische Linke keinen Ausweg aus ihrer gegenwärtigen Schwäche findet, wird die Ungleichheit wachsen und die Demokratie weiter ausgehöhlt werden.

Jetzt ist für viele Arbeitnehmer, die bislang links gewählt haben, die AfD die Protestpartei. Sie mahnen seit der Wahl und den hohen Stimmenverlusten in Ostdeutschland mehr Realismus der Linken beim Thema offene Grenzen an. Um die Rechten rechts zu überholen?

Die AfD will wie die Jamaika-Parteien Steuerungerechtigkeit und Sozialkürzungen und ein Einwanderungsgesetz, um qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen.
Wir dagegen sind dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet.
Das bedeutet, zuerst dort zu helfen, wo die Not am größten ist: in den Flüchtlingslagern und in den Ländern, in denen die Menschen unter Hunger und Krankheit leiden.
Im Gegensatz zu den neoliberalen Parteien bekämpft die Linke unfaire Handelsverträge, die sich hinter dem beschönigenden Wort Freihandel verbergen.

Was heißt das?

Offene Grenzen für alle Menschen, alle Waren und jedes Geld führen im Ergebnis dazu, dass die Wirtschaft in den unterentwickelten Ländern Schaden nimmt.
Es ist unverantwortlich, die qualifizierten Menschen aus diesen Ländern abzuwerben und gleichzeitig durch die forcierte Zuwanderung Geringqualifizierter die Lohnkonkurrenz im Niedriglohnsektor zu verschärfen, was alle Unternehmerverbände fordern.
Offene Grenzen für alles und alle ist die Grundformel des Neoliberalismus.

Wie wollen Sie die früheren Wähler von der AfD zurückholen? Grenzen dicht?

Die Aufnahme von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen ist eine moralische Verpflichtung.
Die Grenzen müssen offen bleiben, aber der Grenzverkehr muss reguliert werden.
Die Wiederherstellung des Sozialstaates und die gleichzeitige Aufklärung darüber, dass die AfD eine Sozialabbau-Partei ist, sind die wichtigsten Maßnahmen, weiteren Aufstieg zu bremsen.
Da eine Gesellschaft ebenso wie jeder einzelne Mensch nur in begrenztem Umfang helfen kann, kommt auch die Linke an einer Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nicht vorbei. Bleiberecht und 1050 Euro für alle, die zu uns kommen, sind wirklichkeitsfremd.

Interview: Thoralf Cleven
Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung vom 11.11.2017

 

Persönliche Anmerkungen anläßlich dieses Interviews von Dietrich Bicher:

Der Abdruck des Interviews ist vermutlich das Konzentrat eines Gesprächs.
Nichtsdestweniger ist der Tenor diskussionswürdig, dies aber bitte ohne die üblichen linken "Schubladen" und Rechthaberei-Attitüden (bis hin zum Geifer), denn:

Politik ensteht durch interessengeleitetes Agieren von Gruppen unter konkreten Bedingungen. "Berücksichtigung von Ort, Zeit und Bedingungen" pflegte einer meiner diaklektisch-materialistischen Philosophie-Dozenten immer einzufordern, wenn es um Entscheidungen ging, die scheinbar oder auch tatsächlich unangebracht waren oder die der "reinen Lehre" widersprachen.

Kein schlechtes Motto  -  auch heutzutage und auch nicht für eine nachträgliche Analyse!
Nur scheinbar im Widerspruch hierzu steht die Forderung nach "politischer Phantasie", schließlich ist auch diese für politisches Überleben wichtig:
Das Denken in Varianten, soll heißen auf einem Gleisnetz mit Weichen und nicht auf einer scheinbar einzigen durchgehenden Strecke, neben der jede andere als Umweg oder gar Rückschritt gewertet wird, ist notwendig und muß eingefordert werden.

"Interessengeleitet" verweist unter anderem auf Grundsätze und Ziele, (Partei-)Programme und Utopien.
Sogenannte Flügel unterscheiden sich dadurch, wie stark bei gleichen politischen Zielen jeweils "Ort" bzw. "Zeit" bzw. "Bedingungen" gewichtet bzw. deren Reifegrad eingeschätzt werden.
Was lehrt uns das? Toleranz und Solidarität untereinanander sind gefragt, und nicht "Abstempelungen".
Dies gilt für jede und jeden der LINKEN  -  auch für Oskar (und Sahra und Bernd und Gregor und Matthias und ...).
Grenzen für LINKE sind allerdings völkisches, nationalisitisches, ausgrenzendes (und damit auch stalinistisch geprägtes) Verhalten, kurz gesagt inhumanistisches und die Ungleichwertigkeit von Menschen(-gruppen) postulierendes Denken und Handeln.
Es scheint auf vielen Ebenen immer wieder nötig, an einen gewissen Grundkonsens zu erinnern ...

Und wenn dann noch aus rein persönliche Interessen gespeistes Handeln, Animositäten, Sym- oder Antipathien hinzukommen, wird es schwierig.
Aber wer die nicht zurückdrängen kann, wird letztlich politikunfähig  -  und schadet seiner Gemeinschaft bzw. Partei.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger konnten wir in den letzten Wochen leider auf verschiedenen Ebenen der LINKEN auch erleben. Und damit muß Schluß sein!
(Für Anmerkungen zu diesem Kommentar steht unter anderem das Kontaktformular zur Verfügung ...)